Wir beobachten zur Zeit eine massive Viralisierung von Bildern zu Themen wie Handwerk, Natur, Selbstfindung, Körperkultur, Essen, Outdoor, Sexualität, aber auch den Boom nach subjektiven, exotisch wirkenden autobiografischen Erzählungen. All diese Themenbereiche lassen sich mit Verweis auf den Kultursoziologen Andreas Reckwitz dem Bereich der Singularisierung zuordnen, was Reckwitz als zentralen Identität und Distinktion stiftenden Topos einer neuen Mittelklasse analysiert. Häufig unreflektiert, geht es in den Singularisierungs-Bestrebungen darum, das Eigene, das Echte zu Tage zu fördern, es geht um die Idee des Bodensatzes, der mit ‚wahrer‘ Individualität und Authentizität in Verbindung gebracht wird − Künstler und das Kunstwerk stehen gemeinhin prototypisch für diese Art von Ideal.

Das Bedürfnis nach Authentizität hat, vereinfacht ausgedrückt, mit der Welt in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung zu tun. Spannend ist, dass mit Verweis auf Rüdiger Safranski, das Motiv der Sehnsucht nach Freiheit und nach Ausbruch aus der Beengtheit bereits bei den Romantikern Anfang des 19. Jahrhunderts auftaucht. Wald, Wandern, Ferne, Liebe, usw. werden hier zu Sehnsuchtsorten, was durchaus mit der heutigen Sehnsucht nach Authentischem vergleichbar ist, ob beim Brotbacken im heimischen Backofen oder beim Yoga-Surf-Retreat auf Bali.

Für uns, die wir uns in der Tradition der Appropriation sehen, ist relevant, dass sich die oben genannten Themen in bestimmten Ästhetiken und Bildtypen manifestieren und mit bestimmten Narrativen versehen sind, die kontingent sind, aber durch diskursive Praktiken eigenmächtig entstehen. Unsere Aufgabe besteht darin, den Look und die Erzählungen dieser Bildwelten nachzuvollziehen und gleichermaßen affirmativ zu wiederholen als auch kritisch zu brechen, um die Bilder deautomatisiert wahrnehmbar werden zu lassen.

Um das Authentizitätsdispositiv von Anfang an demonstrativ in unsere praktische Arbeit einfließen zu lassen, arbeiten wir mit analogem Fotomaterial. Die vermeintliche Authentizität der analogen Fotografie passt perfekt zu Thema. Wir appropriieren den Piktorialismus des 19. Jahrhunderts genauso wie die experimentelle Fotografie der Surrealisten, zerkratzte Negative, abgelaufenes Fotopapier, Solarisation und Lichtmalerei. Wir produzieren Unikate, und geben uns der Zufälligkeit des Experiments, die gewissermaßen der Bruder des Authentischen ist, hin.


Metronom Galerie, Modena, IT
2019

Featured auf ATP DIARY, PHROOM, Artribune